Dienstag, 30. Juni 2015

Dafür, dagegen zu sein?

Die Welt ist schwarz und weiß: Was gesund ist, schmeckt nicht, und was moralisch
wertvoll ist, ist auch gesund. „Wirklich?“. Ich wage hier mal den Schritt in die gedankliche Grauzone.

  "Dagegen sein" ist für viele Menschen eine Grundeinstellung. Erstaunlicherweise tangiert diese Haltung besonders die Dinge, die diese Menschen nie probiert haben. „Grundlos gute Laune haben“, zum Beispiel. Am häufigsten begegnet einem dieses Phänomen, wenn es ums Essen geht. Geschmäcker sind verschieden, logisch.

Müsli aus Wurst

  Neulich in der S-Bahn wurde ich Zeugin eines Gesprächs zwischen zwei Zwanzigjährigen: „Und dann legt Sie DAS auf den Grill und sagt DAS ist vegan!“, Ekel breitet sich auf dem frisch geschminkten Gesicht aus, als ginge es um Fußpilz im Salat. „Und ich so: DAS kann ja gar nicht schmecken!“, dabei durchfährt ihre Stimmhöhe eine Achterbahn. Gänsehaut. Ich werfe ihr einen Blick zu, tödlich wie ein Bolzenschussgerät. Was hat dieses Mädel wohl zum Frühstück gegessen? Müsli aus Wurst? Stullen aus Fleisch? Hähnchenflügel mit Nutella? Wenn tatsächlich alles Vegane grässlich schmeckte – wer wäre dann für den deutschen 80 kg-per-Kopf-Verbrauch an Brot verantwortlich? Wer äße jährlich die rund 8 kg Nudeln? Ein Mysterium.

Fleischfreie Fleischprodukte

 Doch auch tatsächliche „Fleischersatzprodukte“ verdienen diesen schlechten Ruf nicht, wie ich nun durch die ZDF-Sendung „WISO“ erfahren habe: 50 Passanten sollten eine vegetarische und eine nicht vegetarische Scheibe Mortadella blindverkosten. Das überraschende Ergebnis: 27 Probanden schmeckte die Veggie-Wurst besser. Und: Kaum jemand hat erkannt, dass eine der Würste überhaupt kein Fleisch enthielt.
    Glücklicherweise sind nur wenige Menschen derartig lang in ihrer postpubertären Phase gefangen, wie das S-Bahn fahrende Mädchen. Deshalb avancierten „fleischfreie Fleischprodukte“ – welch Oxymoron – in den letzten Jahren zu einem wahren Kassenschlager. Von 30 Prozent mehr Umsatz ist heute die Rede. Ausgerechnet ein großer Wursthersteller, der mit der Mühle im Markenzeichen, hat die Zeichen der Zeit erkannt und fährt aktuell große Erfolge mit Veggie-Schnitzel und Co ein.

„Foodie“ trifft „Selfie“ 

 Zum Zeitgeist gehört es für Trend-Esser auch, jede halbwegs ansehnlich frittierte Runkelrübe auf Instagram oder Facebook als „Foodie“, also ein Essens-Foto, hochzuladen. Natürlich nur in Kombination mit einem „Selfie“, das die hervorragende Auswirkung dieses „Super-Foods“ auf den eigenen „Super-Body“ belegt. So wirbt „LaurenCocoXO“ im sozialen Netzwerk halbnackt in einem selbstgedrehten Video für das Mühlen-Veggie-Schnitzel. 593 Worte pro Minute plappernd, akustisch untermalt von schrillen Techno-Beats erklärt sie, wie man das Panier-Brät zubereitet. Wohlbemerkt: ein Fertigprodukt.
    Nur: Sind „Fleischersatzprodukte“ auch wirklich so gut für den Körper? „WISO“ hat auch hier den Test gemacht: Palmfett, Verdickungsmittel, Aromen und bis zu 7 Zusatzstoffe finden sich in den meisten vegetarischen oder veganen Wurst-, Schnitzel- und Frikadellenprodukten. Gesund klingt anders.

Neugierde, eine Zierde 

Auch „neugierig sein“ ist für viele Menschen eine Grundeinstellung. Glücklicherweise tangiert diese Haltung besonders die Dinge, die diese Menschen nie probiert haben. Denn nur deshalb wissen wir: „Vegan“ kann gar nicht grundsätzlich eklig sein. Aber eben auch genauso wenig grundsätzlich gesund.

 


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