Donnerstag, 24. Oktober 2013

Veggie-Evolution

Wo kommen wir her? Wo gehen wir hin? Auch Vegetarier als gemüseverliebte Spezies stellen sich diese Fragen. Denn: Fleischlos zu leben ist keine Erfindung der Neuzeit. Quer durch die Epochen hat es sie immer gegeben - nur in unterschiedlichen Erscheinungen.

Es gibt ja böse Menschen, solche nämlich, die im Oberstufen-Biologie-Unterricht mit halbem Ohr zugehört haben und heute hämisch behaupten: „Ihr Vegetarier habt euch doch um eine Evolutionsstufe zurück entwickelt!“. Haha. Stümperhaft wird diese These dann mit einem Umkehrschluss belegt: Feuer und Fleisch ließ Affenhirn wachsen, dann lässt Feuer und Rübe Menschenhirn schrumpfen. Wie geistreich. Ich meine, wenn das wirklich wahr sein sollte, dann frage ich mich doch: Warum werden wir eigentlich nicht längst von Tigern regiert und von Hyänenkindern als Spielgefährten in Käfige gesperrt? Tja, das soll mir doch mal einer erklären...

Gestaltgewordene Ernährungs-Neurosen

Kürzlich habe ich deshalb in dem Gehobene-Veggie-Küche-Duden schlechthin, dem „Teubner Vegetarisch“, etwas über die tatsächliche Geschichte der Vegetarier gelesen. Dort stand es Schwarz auf Marmorpapier: Wir sind gar nicht die gestaltgewordene Ernährungs-Neurose unserer Zeit – was ja ebenfalls oft behauptet wird. Glück gehabt!
    „Von allem Beseelten enthalte dich!“, schrieb nämlich schon im 6. Jahrhundert vor Christus ein gewisser Herr Pythagoras. Da er glaubte, der Mensch werde in Tieren wiedergeboren, hielt er jeden Verzehr von Fleisch schlichtweg für Mord. So viel Abstraktionsvermögen hätte ich einem Mathematiker bis hierhin gar nicht zugetraut.


Der Mathematiker und Philosoph Phytagoras glaubte im 6.Jahrhudert vor Christus er werde im nächsten Leben als Tier geboren. Wie er sich da so sicher sein konnte? Keine Ahnung. Gewiss ist nur, dass er deshalb zu einem der ersten Vegetarier der Geschichte wurde.



Asketen und andere Spaßbremsen

So war die vegetarische Ernährung für die nächsten 2.400 Jahre als „pythagoräische Diät“ bekannt und halbwegs akzeptiert. Im rückwärtsgewandten Mittelalter jedoch flambierte man vorsichtshalber trotzdem nochmal den ein oder anderen Fleischverweigerer als möglichen Anhänger einer ketzerischen Sekte – man kann ja nie wissen. Erst Ende des 18. Jahrhunderts zog mit der Aufklärung wieder die Vernunft in Europa ein. So beobachteten die deutschen „Vegetarianer“ sorgenvoll das Aufkommen industrieller Erzeugnisse wie Fleischextrakt und Erbswurst. Zunächst natürlich ein lobenswerter Gedanke. Doch diese „Vegetarianer“ waren in Wahrheit nur eines: Richtige Spaßbremsen. Sie verzichteten nicht nur auf Fleisch, sondern auch auf Gewürze,... schlimmer: Alkohol...und wohlmöglich auch noch auf körperliche Liebe, mindestens aber den Spaß daran. So machten Sie sich grau und freudlos mit selbst Gebackenem Schrotbrot und Rohkost auf den Weg, die Welt zu „verbessern“. Und sind offenbar bis heute nicht sehr weit gekommen.

Lächeln statt Rohkost
Denn: Die modernste Evolutionsstufe des Vegetariers trägt wieder ein Lächeln statt Rohkost durch die Welt. Studien belegen: Nie zuvor lebte anteilig an der deutschen Bevölkerung ein so großer Prozentsatz ohne den Konsum von Fleisch. Der heutige Vegetarier ist kein Neurotiker, nicht auf Diät, kein Anhänger einer ketzerischen Sekte und auch sicher kein Asket mit dem Hang zur Selbstkasteiung durch Spaßentzug. „Zweieinhalb Jahrtausende nach Pythagoras betritt ein neuer Besser-Esser die Bühne Europas:“, schreibt auch die Autorin im Teubner, „der vegetarische Genießer“ – was für ein evolutives Erfolgskonzept!


 Vegetarische Küche ist Genuss für alle Sinne, denn sie ist heute so aufregend und kreativ
wie nie zuvor. Über 180 vegetarische Höhenflüge in Rezeptform, entwickelt von 13 Spitzenköchen und einzigartig in Szene gesetzt, versprechen Genuss pur.
Teubner Vegetarisch, Teubner, um die
100 Euro, ISBN: 978-3-8338-2848-5.

Montag, 7. Oktober 2013

Sternstunden für VEGUXURY-Veggies

Huch? Hat mir der Stern da etwa die Idee vom grünen Gourmet geklaut? Ein Redakteur machte den total verrückten Selbsttest: Genussvoll Essen mit weniger Fleisch. Und ist nun begeisterter "Flexitarier".

"Ideen für ein genussvolles Leben mit weniger Fleisch": VEGUXURY auf dem Stern-Titel dieser Woche.
Zu Studienzeiten berichtete uns mal meine Lieblingsdozentin, dass während ihrer Zeit bei der flippigen 90er-Jahre-Frauenzeitschrift "Amica" sogenannte Selbsttests voll im journalistischen Trend lagen. "Im Schlabberlook zum Date" war eine solche literarische Selbstgeißelung, oder "eine Woche die Familie mit schlechter Laune traktieren". Das gab natürlich die ein oder andere lustige Geschichte.

Beim Nachrichtenmagazin "Der Stern" dachte sich kürzlich Redakteur Bert Gamerschlag ein ähnlich erheiterndes Spielchen aus: Er gab ein Jahr lang probeweise den "Flexitarier", also einen Halbtags-Vegetarier-auf-Gourmet-Niveau. Ganz bestimmt eine schöne Idee. Nur vielleicht nicht ganz so aussergewöhnlich wie der Autor behauptet. Und VEGUXURY-Leser natürlich wissen.

"Man kann auch auch fleischlos glücklich Leben", schreibt Gamerschlag also in dem Artikel. Vor allem lebe es sich abwechslungsreicher, sagt er, weil Mutter Natur uns so viel böte. Als aktiven Vegetarier beschreibt sich der Stern-Redakteur nun, als einen, der selbst vegetarisch kochen lernte und als Gast weder nörgelt, noch missioniert. Wunderbar: Genauso stelle auch ich mir den modernen Vegetarier vor!

Kritikern so richtig auf die Nerven gehen kann mit Beispielen und Grafiken zum Thema "Besser-Mensch-Vegetarier".


Schade nur, dass dann irgendwie doch missioniert wird. Nämlich am Rande des Artikels und in Form von den ewig gleichen Grafiken und Beispielen zum Thema "Besser-Mensch-Vegetarier". Fleischverweiger kriegen weniger Krebs und Infarkte. Aha. Das reinere Gewissen haben sie auch. Oh, oh! Und dann kommt - natürlich -  mein Lieblingsbeispiel: die "Produktion" einer Kuh verschwende im Vergleich zu einer Kartoffel eine Trillion Liter mehr Wasser. Aua, unsexy! Und so geht man mit dieser Besserwisserei Kritikern  nochmal so richtig schön auf die Nerven. Und das obwohl man sie schon fast für die eigene Sache gewonnen hatte.

Wie auch immer. Das total verrückte Ergebnis, des total ungewöhnlichen Selbsttests lautete am Ende also: Ein genussvolles Leben mit weniger Fleisch ist absolut möglich. Mensch, mensch. Das hätten ich dem Herrn aber auch vorher sagen können. Oder habe ich das vielleicht sogar?
















Dienstag, 1. Oktober 2013

Mini-Pudding-Vegetarier und andere Herbivore

Anlässlich des heutigen Welt-Veggie-Tags habe ich mich mal mit der Einordnung von
Ernährungstypen beschäftigt. Das Ergebnis: Pudding-Vegetarier, Frutarier, Veganer –
wenn es um die bevorzugte Speiseform geht, scheint alles möglich zu sein...

Sollte mich mal ein Psychologe zu meiner Kindheit befragen, hab ich seit kurzem die passende Antwort für ihn: Als Kind war ich ein Pudding-Vegetarier. Kein Witz, das ist offenbar ein eingetragener Begriff. Ich habe ihn bei Wikipedia gefunden – sofern Sie dies als stichhaltige Qualitätsquelle gelten lassen.
Und was soll das sein – ein Pudding-Vegetarier – fragen Sie sich nun? Ein Vegetarier, der sich zwar fleischlos ernährt, aber keinesfalls der leckeren Schokolade & Co entsagt. Schlimmer noch: Er bevorzugt den Zucker! Denn wozu auch der Verzicht? Schokolade hat schließlich weder Fell noch Beine. Vegetarier seien pauschal rank, schlank und urgesund, glaubten Sie? Nichts als ein schmeichelhaftes Vorurteil. Leider.

Früchte, sonst nichts

Doch es gibt noch andere Formen des Herbivorismus, also der rein pflanzlichen Ernährung, von denen auch ich erst kürzlich erfahren habe. Obskur zum Teil!  Haben Sie beispielsweise schonmal von Frutariern gehört? Diese Spezies verzehrt – wie der Name schon vermuten lässt – ausschließlich: Früchte. Allerdings, damit es nicht zu simpel wird, nur solche, die sie ernten können, ohne die Stammpflanze zu schädigen. Soll heißen: Nur den Apfel, der sich freiwillig des Lebens müde vom Baum gestürzt hat. Deshalb stehen auch keine Gemüsepflanzen auf dem frutarischen Speiseplan. Durch den Verzehr von Blättern, Stielen oder Wurzeln würde die Pflanze schließlich zerstört werden.
Stellen wir uns doch mal einen derartigen „Fallobstler“ im Spitzen-Restaurant vor: Der arme Koch, der versichern muss, den hilflosen Apfel nicht mit Gewalt vom Baum gerüttelt zu haben! Und überhaupt: Ein Menü aus Obst-salat, -püree und -kompott zuzubereiten macht sicher wenig Freude.


Ohne Gelatine ein rein vegetarisches
Vergnügen: Die Sahnetorte.


Vegetarier-Sein ist Standard

Noch spotte ich. Aber in zehn bis fünfzehn Jahren, da sind mir meine eigenen Zeilen vielleicht sogar schon peinlich. Als Kind, als Mini-Puddingvegetarier, da blieb mir beim Restaurantbesuch oft nichts anderes übrig, als die klassische Pizza Margherita, oder die fragwürdige Beilagenzusammenstellung Pommes Frites mit Sauce Hollandaise und anfallenden frittierten Gemüsen. Aber heute? Heute bekommt man doch noch im hintersten Eckchen Castrop-Rauxels eine leckere und gesunde Veggie-Alternative. Aber was sage ich Alternative – ein vegetarisches Menü gehört inzwischen eigentlich in jedem Restaurant zum Standard auf der Karte.

Vegan-Sein ist hip

Und diesen Standard beginnen nun auch die Veganer für sich zu beanspruchen. Verständlich. Küchenchefs wie Björn Moschinski arbeiten daran, vegane Küche weiter auf Spitzenniveau zu etablieren. Noch verständlicher. Noch vor wenigen Jahren befanden sich Veganer als Jutebeutel schleppende Hippies am Rande der schicken Gesellschaft. Heute werden besagte Beutel als hip gewordenes Accessoire in die gehobene Gastronomie getragen.
Also wer weiß: Irgendwann einmal wird selbst der frutarisch korrekt vom Baum gefallene Apfel mit Blattgold bestrichen werden. Solang das Gold niemand gewaltsam aus dem Stollen gerissen hat, versteht sich...