Freitag, 17. Oktober 2014

Vegan-Terroristen

Manchmal überlege ich in Anbetracht einiger „Vegetarier-Wahrheiten“ radikal zu werden, lasse es aber lieber und schreibe stattdessen Geschichten darüber.

Das schönste am Vegetarier-Sein ist, dass man nichts über sich weiß. Ja, wirklich: Die spannendsten Dinge über mich, erfahre ich aus der Zeitung. Besonders jetzt, wo man in den Großstädten das „Veggie-Sein“ als neue, brandheiße Entdeckung feiert. Dort wo plötzlich junge Menschen in sehr engen Hosen und mit sehr großen Brillen „voll veggie“ leben, „weil das mit den Tieren irgendwie so mal krass nicht okay ist“. Veggie for life! Oder eben die nächsten 3 Monate.

Radikal vegan

„Vegan: Radikale Einstellung wird zum Mega-Trend,“ las ich neulich in einer Art Alt-Herren-Weinmagazin. Eine Überschrift wie ein Dampfhammer. „Veganer? Das sind doch diese vermummten Brandstifter! Steinewerfer! Krawallmacher!“, krächzt ein grantiger Greis in meinem Ohr, mit seinem Krückstock furios durch die Luft fuchtelnd. „Mit fundamentalreligiöser Entschlossenheit“, so der Artikel, würden Veganer sämtliche Tierprodukte ablehnen. Fundamentalreligiös? So, wie diese muslimischen Glaubenskrieger, die postmortem für zehn abgeschlagene Schädel mit doppelt so vielen nackten Jungfrauen belohnt werden? Natürlich. Wen wundert es da eigentlich, das der Titel des Magazins, das diesen Text im Internet veröffentlichte, „Falstaff“ lautet? Falstaff, Shakespeares wohlbeleibter, trink- und raufsüchtiger Soldat, zur Selbstüberschätzung neigend, ein dicker Angeber und Genießer. „Fundamentalreligiös“ – so einen Quatsch kann man auch wirklich nur besoffen schreiben.

Vampir-Veganer

Und so schrieb der Autor weiter: „Sie essen nichts vom Tier und tragen auch keine Gürtel und Schuhe aus Leder.“ OH. MEIN. GOTT. Keine Schuhe! Kein Gürtel! Kein Leder! Krankhaft. Der daraufhin vergebene Titel „sauertöpfische Genuss-Taliban“, scheint deshalb nur gerecht. NUR Fleischgenuss ist Lebenslust! Hmm. Wer ist hier eigentlich die Genuss-Taliban?
„Umstritten ist auch, ob Veganer nicht tief in ihrem Inneren trotz ihrer tierfreundlichen Weltanschauung eine tiefe Lust nach Fleisch verspüren“. Lieber Autor Trunkenbold, der sie ihre Geschichten auf dem Boden eines ausgetrunkenen Weinfasses finden: Natürlich tun sie das. Denn Veganer sind eigentlich nur verirrte Vampire. Und alle schlecht gelaunten Frauen haben zu wenig Geschlechtsverkehr.

Davidine und Goliath

Doch nicht nur aus Zeitungen kann man lernen, auch aus dem Leben. Während eines Radtraining-Wochenendes in Österreich belehrte mich ein Halbprofi-Radl-Gnom über meine Essgewohnheiten. Stellen Sie sich das Männlein so vor: 1,65 cm Körpergröße, knapp 50 kg und Arme, wie Beine als Pommespieker. Ein kränkliches Kind mit Bart im Alter von 35 Jahren. „Du weißt schon das Dir wichtige Nährstoffe fehlen“, konstatierte er nach oben blickend, so laut und selbstbewusst wie kleine Menschen sprechen, die endlich mal gehört werden wollen. Die Gruppe schwieg und schmunzelte. Da standen wir: Davidine neben Goliath. Hätte ich mich in diesem Moment seitlich auf ihn fallen lassen, es hätte wohl keine fünf Minuten gedauert... Aber: Ich wollte mich nicht aufführen wie einer dieser Taliban-Veganer. Ich gab mich einfach damit zufrieden ihn und seine Nährstoffe am Abend nach einer halben Flasche Wein auf den Boden des Weinfasses getrunken zu haben. Dorthin wo so schöne Vegetarier-Wahrheiten gedichtet werden.