Donnerstag, 3. April 2014

Der enttarnte Vegetarier

Manchmal gerät man als Vegetarier in eine echte Identitätskrise. Denn es scheint,  als wisse die ganze Welt viel mehr über die eigene Person, als man selbst. Wer also nicht von Mettbrötchen-Monstern verfolgt werden will, sollte besser Undercover bleiben.

Viele Wege führen in den Vegetarismus. TV-Dokumentationen zum Beispiel haben oft mit der Abkehr von Fleisch zu tun. Plüschige Küken fallen dort in Todes-Schredder, zusammengepferchte Angst-Schweinchen reißen quiekend die Kugelaugen auf. Gruselig! Da heißt es: Umschalten oder Appetit verlieren, klar.
Andere Vegetarier wiederum finden erst im Mittlebenskriesen-Taumel auf Esoterik-Trips durch Vorderasien zu einer Art spirituellem Vegetarismus. Kichererbsentofucurry als Ageblocker quasi. Wenn´s hilft, wieso auch nicht.
Ich hingegen gehöre tatsächlich zu den wenigen Menschen, die als Vegetarier geboren wurden. Ohne nennenswerte Fremdeinwirkung. Klingt komisch, ist aber tatsächlich so. Ich kann es mir auch nicht ganz erklären. Als Kind habe ich gedacht: Ich mag keine Tiere essen und du keinen Rosenkohl, so ist das nunmal. Doch irgendwann begannen die Menschen in meiner Umwelt seltsame Fragen zu stellen. Und sich urkomisch zu verhalten.
Stellen Sie sich zum Beispiel vor, Ihnen wedelt ständig irgendwo irgendjemand mit seinem Mett-, Leberwurst oder Salamibrötchen vor der Nase rum. Um Sie – achtung – zu erschrecken! Ich meine: Wer hat denn bitte Angst vor einem Brotbelag? Wer ist denn so bekloppt? Man erdenke doch nur mal mein Alltagsleben: Fleischtheke im Supermarkt? Kreischanfall! Spanferkelchen beim Familienfest? Sirenengeheul! Das wäre ja fast so seltsam, wie jemanden mit einem Wurstaufstrich verängstigen zu wollen.

Kantige Ökolandwesen

Zum Glück ist es mir – um solche Situationen zu vermeiden – in den letzten Jahren auch immer ganz gut gelungen, Undercover zu bleiben, wenn es nötig war. Warum? Mich verrät so wenig! Rund und wohl genährt bin ich nach bestem Wissen und Talent gekleidet, recht groß gewachsen, im Sommer braun gebrannt und betreibe auch noch leidenschaftlich gern Ausdauersport. Und Vegetarier? Das sind doch diese in Jute gehüllten, kantigen Ökolandwesen! Blass und ausdruckslos fehlt denen schon die Kraft, auch nur dem nächsten Bus hinterherzulaufen – jeder weiß das!
Seitdem ich jedoch diese Texte in die Welt hinaus schreibe, blogge und poste, bin ich komplett enttarnt. Die da draußen wissen jetzt, dass ich keine von ihnen bin! Und so begann eine neue Ära der Mettmonsterverfolgung.

Veganer sind Mörder

„P.S: Vegetarier essen meinem Essen das Essen weg ;-)”, stand kürzlich unter einer beruflichen Korrespondenz. Jaja, sehr lustig. „Wenn es eines Tages kein Fleisch mehr zu essen gibt, esse ich eben Vegetarier!“ , schrieb ein noch spaßvogeliger Hamburger Barkeeper unter einen meiner Facebook-Posts. Ach, Sie lachen? Das würde Ihnen vergehen, hätten Sie diese Witze schon so oft gehört wie ich. Dennoch sind mir solche Faxenmacher lieber, als diejenigen, die „ernsthaft“ mit mir diskutieren wollen: „Auch Veganer sind Mörder!!!“, warf man mir kürzlich krönend an die Facebook-Chronik. Was?!? Es folgte ein Link mit krudem Inhalt zur Weltanschauung von Vegetariern: „Die einzige Alternative, der einzige Weg, den Planeten zu retten, sei, gänzlich auf Tierprodukte zu verzichten.“ Und ich dachte immer die Rettung des Planeten sei Sache von Batman & Co.
Und warum bin ich ein Mörder? Weil – aufgepasst! - bei der Arbeit auf dem Gemüseacker doch auch mal das ein oder andere Spinnenbein in den Mähdrescher gerät. Lieber Autor dieses Textes: Ich verspreche mich hiermit demonstrativ an das nächst auffindbare landwirtschaftliche Nutzfahrzeug zu ketten – und sollte mich die Aktion mein eigenes Spinnenbein kosten!

Lieber Freund: Bitte nicht!

Und dann gibt es da noch die Menschen, die sich neuerdings wundern, dass ich gern Wein statt Kräutertee trinke („SIE?“), meine Fleisch verzehrenden Lieben nicht von ihrem dunklen Weg abbringe („Ich küsse den Veganer mit dem Mund voller Hackfleisch“, Deichkind Songtext) oder nicht längst wegen Nährstoffmangels eingegangen bin wie ein welkes Salatblatt. („Ich könnte das nicht!“)
 „Wir müssen reden!“, schrieb mir auch neulich ein Freund als Reaktion auf meine Kolumne. Lieber Freund: Bitte nicht! Ich denke, in diesem Text ist jetzt alles gesagt. 

In Zusammenarbeit mit Weltgrafiker Martin Hannemann.